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Text File  |  1996-06-17  |  13KB  |  274 lines

  1. #Titel Politik / Wiedervereinigung, 2.Teil
  2. #Logo gadget25:pinsel/AG.Politik
  3. #Font topaz 8
  4. #C10
  5. #Y+50
  6. der folgende artikel erschien in der 8. ausgabe unseres
  7. jugendmagazins spunk. weitergehende verbreitung/verwendung
  8. nur mit einverständnis des autors, dave huis in't veld.
  9.  
  10. ciao,
  11.         - holgi -
  12. #Seitenende
  13. #C31
  14. ----------------------------------------------------------------------------
  15. #Font Losse 16
  16. Wiedervereinigung, 2. Teil
  17. #Font topaz 8
  18.  
  19. // Über die gescheiterte Länderfusion Berlin-Brandenburg
  20. ----------------------------------------------------------------------------
  21.  
  22. #C10
  23. von Dave Huis in't Veld
  24. #C21
  25.  
  26. Das Prädikat "dumm gelaufen", könnte man dem Ergebnis der Volksabstimmung
  27. zur Länderfusion Berlin-Brandenburg aus Sicht des brandenburgischen
  28. Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) und des regierenden Bürgermeisters
  29. Berlins, Eberhard Diepgen (CDU), anlasten.
  30.  
  31. So wollten Stolpe und Diepgen ihre Untertanen dazu bewegen, für ein
  32. gemeinsames Land Berlin-Brandenburg zu stimmen und warben für dieses auf
  33. mehr als hundert Veranstaltungen, sowohl in der dreieinhalb
  34. Millionen-Metropole Berlin als auch in den kleinsten märkischen Dörfern.
  35.  
  36. In getrennten Volksabstimmungen wurde am 5. Mai 1996 entschieden, ob
  37. Brandenburger und Berliner ab 1999 oder ab 2002 gemeinsame, bzw. weiterhin
  38. getrennte Wege gehen wollen.
  39.  
  40. Beide Regierungen einigten sich zuvor auf einen u. a. 60 Artikel und ein
  41. neues Wahlgesetz umfassenden Staatsvertrag, welcher der jeweiligen
  42. Landesbewohnerschaft zum Urteil dargelegt wurde; die Mühe war vergebens.
  43.  
  44. Deutschland umfaßt 16 Bundesländer und somit, um nur die ranghöchsten
  45. Staatsdiener zu nennen, 16 Ministerpräsidenten, 157 Minister und
  46. 189 Staatssekretäre; handelte man nach streng ökonomisch-rationellem Denken
  47. gäbe es weder Bremen, noch das Saarland, statt dessen gäbe es den schon viel
  48. diskutierten Nordstaat und sogar Rheinland-Pfalz müßte sich um seine
  49. Eigenständigkeit sorgen.
  50.  
  51.                  ---------------------------------------
  52. #C10
  53.                    Einziges Beispiel für eine geglückte
  54.                    Länderfusion: Baden-Württemberg
  55. #C21
  56.                  ---------------------------------------
  57. Das einzige Beispiel einer geglückten Länderfusion stellt Baden-Württemberg
  58. dar. - Im Südwesten betätigten sich, wie überall in Deutschland nach dem
  59. zweiten Weltkrieg, alliierte Besatzungsmächte als Staatsgründer.
  60.  
  61. So faßten im Jahr 1945 die US-Amerikaner, interessiert an ökonomisch
  62. leistungsfähigen Gebieten, die Provinzen nördlich der Autobahn Karlsruhe-Ulm
  63. gegen den Willen der Bevölkerung zum Land Württemberg-Baden zusammen.
  64.  
  65. Südlich dieser Achse teilte die dortige Besatzungsmacht, Frankreich, ihre
  66. Besatzungszone in die Länder Süd-Baden und Württemberg-Hohenzollern auf.
  67.  
  68. Zwar scheiterten die ersten Versuche zur Vereinigung dieser Länder, doch
  69. gelang es schon bald den südwestdeutschen Politikern, eine
  70. Fusionssonderregelung, eine Volksabstimmung beinhaltend, im Grundgesetz
  71. (in Artikel 118) zu verankern.
  72.  
  73. Die im Dezember 1951 stattgefunden habende Abstimmung brachte das
  74. erhoffte Ergebnis: Baden-Württemberg wurde geschaffen.
  75.  
  76. Doch diesem Beispiel wurde nicht gefolgt. Schnell hielten die Deutschen an
  77. den neu geschaffenen Bundesländern fest, auch wenn diese, wie Rheinland-Pfalz
  78. oder Nordrhein-Westfalen willkürlich zusammengefaßt worden waren; der
  79. Gedanke an das streng zentralistisch geführte nationalsozialistische Reich
  80. schreckte viele ab. Ferner scheitern Fusionierungsversuche wie z.B. der
  81. Nordstaat an regionalem Eigensinn, so ironisierte Bremens Oberbürgermeister
  82. ein Zitat Willy Brandts zu seinen Zwecken: "Es wächst nicht zusammen, was
  83. nicht zusammen gehört..."
  84.  
  85.                  ---------------------------------------
  86. #C10
  87.                      Vorbehalte gegen die Fusion sind
  88.                      historisch tief begründet
  89. #C21
  90.                  ---------------------------------------
  91.  
  92. Doch zurück zu Berlin-Brandenburg; was sind die Gründe für das Scheitern
  93. dieser Vereinigung? - Schon seit über einem Jahrhundert gibt es Bedenken
  94. gegen angestrebte Zusammenlegungsversuche. Man ist im Brandenburgischen
  95. stolz aufs Ländliche, auf das Gemächliche seines Landes. Doch Berlin ist
  96. schon seit jeher ein Ort wüster Moderne und vehementer Weiterentwicklung:
  97. Die Revolution 1848, Wilhelm II., die Revolution 1918, Hitler und vieles mehr.
  98.  
  99. Natürlich schauten die Berliner fortwährend verächtlich auf die "Landeier"
  100. herunter. Brandenburg eignete sich aus dieser Sicht höchstens zur
  101. Einrichtung preußischer Garnisonen oder als Wochenend-Ausflugsziel.
  102.  
  103. Auch in der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung fanden sich noch
  104. zahlreiche neue Gründe, die Vereinigung der beiden Bundesländer nicht
  105. stattfinden zu lassen, so betrauern noch zahlreiche West-Berliner die
  106. Frontstadtzulagen und die weiteren Vorteile, die West-Berlin als
  107. bundesdeutsche Enklave in der DDR zu bieten hatte. Viele Ostdeutsche
  108. bedauern hingegen hauptsächlich den Verlust der in der DDR sicheren
  109. Arbeitsplätze.
  110.  
  111. Über politische Grenzen hinweg - in West-Berlin regiert die CDU, im Berliner
  112. Osten behauptet sich die PDS, und in Brandenburg hält die SPD die Zügel in
  113. ihren Händen - wurde von beiden Landesregierungen eine massive Werbekampagne
  114. initiiert, welche ein Zusammengehörigkeitsgefühl propagieren sollte; Slogan:
  115. "Gemeinsam sind wir stark". Allerdings stellte bzw. stellt jene Kampagne das
  116. genaue Gegenteil der Meinungen der Landesbevölkerungen dar; laut einer im
  117. April veröffentlichten Studie der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung findet
  118. jede(r) fünfte Ostdeutsche, daß Deutschland von der inneren Einheit weiter
  119. entfernt sei, als 1990. Mehr als 33 % der Ostdeutschen fühlen sich noch
  120. immer als "Bürger der ehemaligen DDR", nur 17,8 % sehen sich als "Bürger der
  121. Bundesrepublik Deutschland".
  122.  
  123.                  ---------------------------------------
  124. #C10
  125.                   Abstimmung stellt eine Art
  126.                   nachträgliches Votum über die Deutsche
  127.                   Einheit dar
  128. #C21
  129.                  ---------------------------------------
  130.  
  131. Somit ist die Volksabstimmung über die Länderfusion auch zu einer Art
  132. nachträglichem Votum über die Einheit Deutschlands geraten. Der Beitritt der
  133. DDR zur BRD am 3. Oktober 1990 war ausschließlich von Politikern geplant und
  134. ausgeführt, so konnten nun, im Mai '96, die Brandenburger und Berliner
  135. selbst darüber entscheiden ob sie denn mit denen von jeweils "drüben"
  136. überhaupt zusammengehen wollten.
  137. Laut dem bereits in diesem Text zuvor erwähnten Staatsvertrag zwischen
  138. Berlin und Brandenburg wird eine Fusion allerdings als "entscheidender
  139. Beitrag zur inneren Einheit Deutschlands" betitelt. Diesem Staatsvertrag
  140. wurde überdies eine Klausel angehängt, welche besagte, daß in jedem der
  141. beiden Länder, die Mehrheit der Voten und mindestens 25 % aller
  142. Wahlberechtigten (620.000 Bürger in Berlin, 480.000 in Brandenburg) eine
  143. Fusion unterstützen müßten, damit Diepgen und Stolpe ihren Wunsch nach
  144. einem geeinten Land hätten verwirklichen können.
  145.  
  146. Doch dieser wurde nicht erfüllt - 62,4 % der Brandenburger und 45 % der
  147. Berliner votierten gegen den Zusammenschluß. Für eine Fusion gaben 36,3 %
  148. der Brandenburger und 54,5 % der Berliner ihre Stimme ab.
  149.  
  150. Hierbei kam es zu deutlich gespaltenen Ergebnissen in Ost- & West-Berlin: So
  151. lehnte im Berliner Osten eine Mehrheit von 55,7 % die Länderfusion ab.
  152.  
  153. Aber auch im konservativen Westen der Stadt zeigte sich ein Widerwillen
  154. (wenn auch nicht in so großem Ausmaß wie im Ost-Berlin) gegen die
  155. Vereinigung mit den Ostdeutschen, die die SPD oder gar die PDS  wählen
  156. könnten.
  157.  
  158.                  ---------------------------------------
  159. #C10
  160.                    Besonders Wähler der PDS und
  161.                    Bündnis'90/ Grüne stimmten gegen die
  162.                    Fusion
  163. #C21
  164.                  ---------------------------------------
  165.  
  166. Doch besonders an den Wählern der zuletzt genannten Partei scheiterte die
  167. Länderehe. - In beiden Bundesländern votierten weniger als ein Viertel der
  168. PDS-Wähler für die Fusion. Im Gegensatz zu diesem war die Zustimmung mit
  169. jeweils über 64 % bei den CDU-Wählern beider Länder besonders hoch. Doch die
  170. ähnlich mobilisierte SPD-Wählerschaft ließ sich nur zu 49 % zu einer
  171. Ja-Stimme bewegen.
  172.  
  173. Dabei setzten die Marketingstrategen der Staatskanzleien zahlreiche
  174. Prominente für ihren Fusionswerbefeldzug ein: Die Schwimmerin Franziska van
  175. Almsick, den Boxer Henry Maske; beide aus Ostdeutschland aber auch im Westen
  176. beliebte Stars. Ferner warb Harald Juhnke in Radiospots für ein geeintes
  177. Berlin-Brandenburg; in Stadt und Land machten zudem zahlreiche
  178. ausgeschwärmte Politiker fürs "richtige" Abstimmen Reklame.
  179.  
  180. Pluspunkte einer Fusion wären die Zusammenlegung der beiden riesigen
  181. Verwaltungsapparate, das Ende des Wettbewerbs um Gewerbeansiedlungen entlang
  182. der Ländergrenze, die Verhinderung des Entstehens von Trabantenstädten - wie
  183. beispielsweise bei London oder Paris -, ein gemeinsames Vorgehen bei der
  184. Müll- und Abwasserentsorgung gewesen.
  185.  
  186. Man hatte die Absicht, mit dem Zusammenschluß der Länder ein neues
  187. Musterbeispiel zu schaffen: Vorbildlich in Rationalität und an schlankerem
  188. Staat, den anderen Ländern zur Nachahmung nahegelegt.
  189.  
  190. Doch sowohl Diepgen als auch Stolpe mußten feststellen, daß sich die
  191. "gesamten Enttäuschungen der Nachwendezeit", so Stolpe, "am geplanten
  192. Zusammenschluß festgemacht haben." - Schon im Voraus zeichnete sich auf
  193. zahlreichen Fusionswerbeveranstaltungen ein Scheitern des Zusammenschlusses
  194. ab, so zeigte man sich beispielsweise im brandenburgischen Calau unzufrieden
  195. mit Wiedervereinigung, Arbeitslosigkeit und dem Anstieg der Kriminalität.
  196. Wenig anders sah es in West-Berlin aus, z. B. war hier eine Rentnerin der
  197. Meinung, daß man sich doch jahrelang gegen die Kommunisten gewehrt habe, und
  198. jetzt kämen die einfach so.
  199.  
  200. Doch Feindschaft zwischen Brandenburgern und Berlinern existiert schon seit
  201. langem; als Berlin im Jahr 1912 mit sechs brandenburgischen Kleinstädten und
  202. zwei Nachbarkreisen zu Groß-Berlin zusammengefaßt werden sollte, kam es zu
  203. einer ähnlichen Diskussion wie heute.
  204.  
  205. Ebenso versuchten in Preußen die Märker Abstand zu den als großschnäuzig und
  206. rastlos geltenden Berlinern aufrecht zu erhalten. Nach dem 2. Weltkrieg
  207. spalteten dann die Alliierten Berlin vom Umland ab, der preußische Staat
  208. wurde verboten und die Teilung vollzogen.
  209.  
  210.                  ---------------------------------------
  211. #C10
  212.                   Auch in der DDR gab es eine
  213.                   "Feindschaft" zwischen Brandenburgern
  214.                   und Berlinern
  215. #C21
  216.                  ---------------------------------------
  217. In der zentralistisch aufgebauten DDR wurde (Ost-)Berlin Brandenburg
  218. gegenüber stets bevorzugt, z. B. wurden Bauarbeiter aus dem Umland zum
  219. Wiederaufbau nach dem Krieg nach Berlin abgezogen, die brandenburgischen
  220. Städte verrotteten. - Jetzt befürchteten viele Brandenburger ein erneutes
  221. Aufblühen des Berlin-Zentralismus.
  222.  
  223. Diepgen und Stolpe versuchten nicht nur gegen Fusionsgegner in
  224. Bürgerinitiativen, wie z. B. "Berlin bleibt frei" oder "Bündnis für
  225. Brandenburg", sondern auch gegen solche in den eigenen Reihen anzutreten.
  226. Wie folgt kritisierte der Berliner CDU-Fraktionsvize Uwe Lehmann-Brauns im
  227. Vorfeld die Fusion und somit die Richtung seiner Partei: Er wolle auf keinen
  228. Fall von Stolpe regiert werden; es sei "Schlimm genug, wenn ein IM Sekretär
  229. Ministerpräsident werden konnte". An und für sich sei Brandenburg immer noch
  230. eine "kleine DDR".
  231.  
  232.                  ---------------------------------------
  233. #C10
  234.                     PDS stellte sich als politischer
  235.                     Gewinner der Fusion heraus
  236. #C21
  237.                  ---------------------------------------
  238. Zwar rechneten sich die Brandenburger Sozialdemokraten schon aus, in einem
  239. geeinten Berlin-Brandenburg, wenn auch mit einem Koalitionspartner
  240. (wahrscheinlich CDU), stärkste politische Kraft zu werden. Doch zeigte sich
  241. als großer Gewinner der gescheiterten Fusion nur die PDS (in gewissem Ausmaß
  242. auch Bündnis '90/Grüne). Mit Parolen wie "eine Wiedervereinigung ist genug",
  243. stellten sich die Sozialisten als scheinbarer Verteidiger der Bevölkerung
  244. heraus.
  245.  
  246. Der PDS-Führungsriege um Gregor Gysi gelang es mit Argumenten wie, daß die
  247. Länderfusion zunächst eine Bonner Idee und schon im deutschen
  248. Einigungsvertrag erwähnt worden sei, große Teile der Landesbewohnerschaften
  249. auf seine Seite zu bringen. - Zustimmung, hauptsächlich aus Ostdeutschland,
  250. war der PDS sicher, wenn sie davon sprach, daß der Osten bei dem geplanten
  251. Zusammenschluß der beiden Länder "wieder einmal zum Testfeld für den Westen"
  252. geworden sei.
  253.  
  254. Die PDS verbuchte jede Gegenstimme zur Fusion als Gewinn für sich, als
  255. Mißtrauensvotum gegen die jetzigen Landesregierungen. Für den
  256. brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe stellt wiederum die
  257. mißlungene Fusion das erste beträchtliche Fiasko seiner Amtszeit dar.
  258.  
  259. #C10
  260. ---------
  261. Quellen: Der Spiegel, taz, u.a.
  262.  
  263. #C21
  264. +---------------------------------------+
  265. |                                       |
  266. |                                       |
  267. |                                       |
  268. +---------------------------------------+
  269. #Y-40
  270. #C10
  271.   Volksabstimmung zur Länderfusion
  272.   JA    Brandenburg 36,6%  Berlin 54,4%
  273.   NEIN  Brandenburg 62,4%  Berlin 45,0%
  274.