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Aminet 13 - August 1996.iso
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p.WiedervereinigungII
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p.WiedervereinigungII
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1996-06-17
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13KB
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274 lines
#Titel Politik / Wiedervereinigung, 2.Teil
#Logo gadget25:pinsel/AG.Politik
#Font topaz 8
#C10
#Y+50
der folgende artikel erschien in der 8. ausgabe unseres
jugendmagazins spunk. weitergehende verbreitung/verwendung
nur mit einverständnis des autors, dave huis in't veld.
ciao,
- holgi -
#Seitenende
#C31
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#Font Losse 16
Wiedervereinigung, 2. Teil
#Font topaz 8
// Über die gescheiterte Länderfusion Berlin-Brandenburg
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#C10
von Dave Huis in't Veld
#C21
Das Prädikat "dumm gelaufen", könnte man dem Ergebnis der Volksabstimmung
zur Länderfusion Berlin-Brandenburg aus Sicht des brandenburgischen
Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) und des regierenden Bürgermeisters
Berlins, Eberhard Diepgen (CDU), anlasten.
So wollten Stolpe und Diepgen ihre Untertanen dazu bewegen, für ein
gemeinsames Land Berlin-Brandenburg zu stimmen und warben für dieses auf
mehr als hundert Veranstaltungen, sowohl in der dreieinhalb
Millionen-Metropole Berlin als auch in den kleinsten märkischen Dörfern.
In getrennten Volksabstimmungen wurde am 5. Mai 1996 entschieden, ob
Brandenburger und Berliner ab 1999 oder ab 2002 gemeinsame, bzw. weiterhin
getrennte Wege gehen wollen.
Beide Regierungen einigten sich zuvor auf einen u. a. 60 Artikel und ein
neues Wahlgesetz umfassenden Staatsvertrag, welcher der jeweiligen
Landesbewohnerschaft zum Urteil dargelegt wurde; die Mühe war vergebens.
Deutschland umfaßt 16 Bundesländer und somit, um nur die ranghöchsten
Staatsdiener zu nennen, 16 Ministerpräsidenten, 157 Minister und
189 Staatssekretäre; handelte man nach streng ökonomisch-rationellem Denken
gäbe es weder Bremen, noch das Saarland, statt dessen gäbe es den schon viel
diskutierten Nordstaat und sogar Rheinland-Pfalz müßte sich um seine
Eigenständigkeit sorgen.
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#C10
Einziges Beispiel für eine geglückte
Länderfusion: Baden-Württemberg
#C21
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Das einzige Beispiel einer geglückten Länderfusion stellt Baden-Württemberg
dar. - Im Südwesten betätigten sich, wie überall in Deutschland nach dem
zweiten Weltkrieg, alliierte Besatzungsmächte als Staatsgründer.
So faßten im Jahr 1945 die US-Amerikaner, interessiert an ökonomisch
leistungsfähigen Gebieten, die Provinzen nördlich der Autobahn Karlsruhe-Ulm
gegen den Willen der Bevölkerung zum Land Württemberg-Baden zusammen.
Südlich dieser Achse teilte die dortige Besatzungsmacht, Frankreich, ihre
Besatzungszone in die Länder Süd-Baden und Württemberg-Hohenzollern auf.
Zwar scheiterten die ersten Versuche zur Vereinigung dieser Länder, doch
gelang es schon bald den südwestdeutschen Politikern, eine
Fusionssonderregelung, eine Volksabstimmung beinhaltend, im Grundgesetz
(in Artikel 118) zu verankern.
Die im Dezember 1951 stattgefunden habende Abstimmung brachte das
erhoffte Ergebnis: Baden-Württemberg wurde geschaffen.
Doch diesem Beispiel wurde nicht gefolgt. Schnell hielten die Deutschen an
den neu geschaffenen Bundesländern fest, auch wenn diese, wie Rheinland-Pfalz
oder Nordrhein-Westfalen willkürlich zusammengefaßt worden waren; der
Gedanke an das streng zentralistisch geführte nationalsozialistische Reich
schreckte viele ab. Ferner scheitern Fusionierungsversuche wie z.B. der
Nordstaat an regionalem Eigensinn, so ironisierte Bremens Oberbürgermeister
ein Zitat Willy Brandts zu seinen Zwecken: "Es wächst nicht zusammen, was
nicht zusammen gehört..."
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#C10
Vorbehalte gegen die Fusion sind
historisch tief begründet
#C21
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Doch zurück zu Berlin-Brandenburg; was sind die Gründe für das Scheitern
dieser Vereinigung? - Schon seit über einem Jahrhundert gibt es Bedenken
gegen angestrebte Zusammenlegungsversuche. Man ist im Brandenburgischen
stolz aufs Ländliche, auf das Gemächliche seines Landes. Doch Berlin ist
schon seit jeher ein Ort wüster Moderne und vehementer Weiterentwicklung:
Die Revolution 1848, Wilhelm II., die Revolution 1918, Hitler und vieles mehr.
Natürlich schauten die Berliner fortwährend verächtlich auf die "Landeier"
herunter. Brandenburg eignete sich aus dieser Sicht höchstens zur
Einrichtung preußischer Garnisonen oder als Wochenend-Ausflugsziel.
Auch in der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung fanden sich noch
zahlreiche neue Gründe, die Vereinigung der beiden Bundesländer nicht
stattfinden zu lassen, so betrauern noch zahlreiche West-Berliner die
Frontstadtzulagen und die weiteren Vorteile, die West-Berlin als
bundesdeutsche Enklave in der DDR zu bieten hatte. Viele Ostdeutsche
bedauern hingegen hauptsächlich den Verlust der in der DDR sicheren
Arbeitsplätze.
Über politische Grenzen hinweg - in West-Berlin regiert die CDU, im Berliner
Osten behauptet sich die PDS, und in Brandenburg hält die SPD die Zügel in
ihren Händen - wurde von beiden Landesregierungen eine massive Werbekampagne
initiiert, welche ein Zusammengehörigkeitsgefühl propagieren sollte; Slogan:
"Gemeinsam sind wir stark". Allerdings stellte bzw. stellt jene Kampagne das
genaue Gegenteil der Meinungen der Landesbevölkerungen dar; laut einer im
April veröffentlichten Studie der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung findet
jede(r) fünfte Ostdeutsche, daß Deutschland von der inneren Einheit weiter
entfernt sei, als 1990. Mehr als 33 % der Ostdeutschen fühlen sich noch
immer als "Bürger der ehemaligen DDR", nur 17,8 % sehen sich als "Bürger der
Bundesrepublik Deutschland".
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#C10
Abstimmung stellt eine Art
nachträgliches Votum über die Deutsche
Einheit dar
#C21
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Somit ist die Volksabstimmung über die Länderfusion auch zu einer Art
nachträglichem Votum über die Einheit Deutschlands geraten. Der Beitritt der
DDR zur BRD am 3. Oktober 1990 war ausschließlich von Politikern geplant und
ausgeführt, so konnten nun, im Mai '96, die Brandenburger und Berliner
selbst darüber entscheiden ob sie denn mit denen von jeweils "drüben"
überhaupt zusammengehen wollten.
Laut dem bereits in diesem Text zuvor erwähnten Staatsvertrag zwischen
Berlin und Brandenburg wird eine Fusion allerdings als "entscheidender
Beitrag zur inneren Einheit Deutschlands" betitelt. Diesem Staatsvertrag
wurde überdies eine Klausel angehängt, welche besagte, daß in jedem der
beiden Länder, die Mehrheit der Voten und mindestens 25 % aller
Wahlberechtigten (620.000 Bürger in Berlin, 480.000 in Brandenburg) eine
Fusion unterstützen müßten, damit Diepgen und Stolpe ihren Wunsch nach
einem geeinten Land hätten verwirklichen können.
Doch dieser wurde nicht erfüllt - 62,4 % der Brandenburger und 45 % der
Berliner votierten gegen den Zusammenschluß. Für eine Fusion gaben 36,3 %
der Brandenburger und 54,5 % der Berliner ihre Stimme ab.
Hierbei kam es zu deutlich gespaltenen Ergebnissen in Ost- & West-Berlin: So
lehnte im Berliner Osten eine Mehrheit von 55,7 % die Länderfusion ab.
Aber auch im konservativen Westen der Stadt zeigte sich ein Widerwillen
(wenn auch nicht in so großem Ausmaß wie im Ost-Berlin) gegen die
Vereinigung mit den Ostdeutschen, die die SPD oder gar die PDS wählen
könnten.
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#C10
Besonders Wähler der PDS und
Bündnis'90/ Grüne stimmten gegen die
Fusion
#C21
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Doch besonders an den Wählern der zuletzt genannten Partei scheiterte die
Länderehe. - In beiden Bundesländern votierten weniger als ein Viertel der
PDS-Wähler für die Fusion. Im Gegensatz zu diesem war die Zustimmung mit
jeweils über 64 % bei den CDU-Wählern beider Länder besonders hoch. Doch die
ähnlich mobilisierte SPD-Wählerschaft ließ sich nur zu 49 % zu einer
Ja-Stimme bewegen.
Dabei setzten die Marketingstrategen der Staatskanzleien zahlreiche
Prominente für ihren Fusionswerbefeldzug ein: Die Schwimmerin Franziska van
Almsick, den Boxer Henry Maske; beide aus Ostdeutschland aber auch im Westen
beliebte Stars. Ferner warb Harald Juhnke in Radiospots für ein geeintes
Berlin-Brandenburg; in Stadt und Land machten zudem zahlreiche
ausgeschwärmte Politiker fürs "richtige" Abstimmen Reklame.
Pluspunkte einer Fusion wären die Zusammenlegung der beiden riesigen
Verwaltungsapparate, das Ende des Wettbewerbs um Gewerbeansiedlungen entlang
der Ländergrenze, die Verhinderung des Entstehens von Trabantenstädten - wie
beispielsweise bei London oder Paris -, ein gemeinsames Vorgehen bei der
Müll- und Abwasserentsorgung gewesen.
Man hatte die Absicht, mit dem Zusammenschluß der Länder ein neues
Musterbeispiel zu schaffen: Vorbildlich in Rationalität und an schlankerem
Staat, den anderen Ländern zur Nachahmung nahegelegt.
Doch sowohl Diepgen als auch Stolpe mußten feststellen, daß sich die
"gesamten Enttäuschungen der Nachwendezeit", so Stolpe, "am geplanten
Zusammenschluß festgemacht haben." - Schon im Voraus zeichnete sich auf
zahlreichen Fusionswerbeveranstaltungen ein Scheitern des Zusammenschlusses
ab, so zeigte man sich beispielsweise im brandenburgischen Calau unzufrieden
mit Wiedervereinigung, Arbeitslosigkeit und dem Anstieg der Kriminalität.
Wenig anders sah es in West-Berlin aus, z. B. war hier eine Rentnerin der
Meinung, daß man sich doch jahrelang gegen die Kommunisten gewehrt habe, und
jetzt kämen die einfach so.
Doch Feindschaft zwischen Brandenburgern und Berlinern existiert schon seit
langem; als Berlin im Jahr 1912 mit sechs brandenburgischen Kleinstädten und
zwei Nachbarkreisen zu Groß-Berlin zusammengefaßt werden sollte, kam es zu
einer ähnlichen Diskussion wie heute.
Ebenso versuchten in Preußen die Märker Abstand zu den als großschnäuzig und
rastlos geltenden Berlinern aufrecht zu erhalten. Nach dem 2. Weltkrieg
spalteten dann die Alliierten Berlin vom Umland ab, der preußische Staat
wurde verboten und die Teilung vollzogen.
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#C10
Auch in der DDR gab es eine
"Feindschaft" zwischen Brandenburgern
und Berlinern
#C21
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In der zentralistisch aufgebauten DDR wurde (Ost-)Berlin Brandenburg
gegenüber stets bevorzugt, z. B. wurden Bauarbeiter aus dem Umland zum
Wiederaufbau nach dem Krieg nach Berlin abgezogen, die brandenburgischen
Städte verrotteten. - Jetzt befürchteten viele Brandenburger ein erneutes
Aufblühen des Berlin-Zentralismus.
Diepgen und Stolpe versuchten nicht nur gegen Fusionsgegner in
Bürgerinitiativen, wie z. B. "Berlin bleibt frei" oder "Bündnis für
Brandenburg", sondern auch gegen solche in den eigenen Reihen anzutreten.
Wie folgt kritisierte der Berliner CDU-Fraktionsvize Uwe Lehmann-Brauns im
Vorfeld die Fusion und somit die Richtung seiner Partei: Er wolle auf keinen
Fall von Stolpe regiert werden; es sei "Schlimm genug, wenn ein IM Sekretär
Ministerpräsident werden konnte". An und für sich sei Brandenburg immer noch
eine "kleine DDR".
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#C10
PDS stellte sich als politischer
Gewinner der Fusion heraus
#C21
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Zwar rechneten sich die Brandenburger Sozialdemokraten schon aus, in einem
geeinten Berlin-Brandenburg, wenn auch mit einem Koalitionspartner
(wahrscheinlich CDU), stärkste politische Kraft zu werden. Doch zeigte sich
als großer Gewinner der gescheiterten Fusion nur die PDS (in gewissem Ausmaß
auch Bündnis '90/Grüne). Mit Parolen wie "eine Wiedervereinigung ist genug",
stellten sich die Sozialisten als scheinbarer Verteidiger der Bevölkerung
heraus.
Der PDS-Führungsriege um Gregor Gysi gelang es mit Argumenten wie, daß die
Länderfusion zunächst eine Bonner Idee und schon im deutschen
Einigungsvertrag erwähnt worden sei, große Teile der Landesbewohnerschaften
auf seine Seite zu bringen. - Zustimmung, hauptsächlich aus Ostdeutschland,
war der PDS sicher, wenn sie davon sprach, daß der Osten bei dem geplanten
Zusammenschluß der beiden Länder "wieder einmal zum Testfeld für den Westen"
geworden sei.
Die PDS verbuchte jede Gegenstimme zur Fusion als Gewinn für sich, als
Mißtrauensvotum gegen die jetzigen Landesregierungen. Für den
brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe stellt wiederum die
mißlungene Fusion das erste beträchtliche Fiasko seiner Amtszeit dar.
#C10
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Quellen: Der Spiegel, taz, u.a.
#C21
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#Y-40
#C10
Volksabstimmung zur Länderfusion
JA Brandenburg 36,6% Berlin 54,4%
NEIN Brandenburg 62,4% Berlin 45,0%